Quartett

Foto: Robert Schittko
von Heiner Müller
Kammerspiele
Premiere 24. Januar 2020
ca. eine Stunde, keine Pause
INHALT
Salon vor der Französischen Revolution/ Bunker nach dem dritten Weltkrieg – in diesem dystopischen Raum-Zeit-Gefüge lässt Heiner Müller die Marquise de Merteuil und ihren ehemaligen Geliebten Valmont aus dem Briefroman »Gefährliche Liebschaften« von Choderlos de Laclos aufeinandertreffen. Der dekadenten Welt einer dem Untergang geweihten Aristokratie entsprungen, rühmen sich die beiden rivalisierenden Figuren einer radikal amoralischen Vernunft. Ihre zynische Absage an die Moral setzt sich mit einer bürgerlichen Ordnung auseinander, die Gut und Böse klar unterscheiden zu können glaubt. Die Aufklärungskritik nimmt in Quartett die Form grausamer sexueller Intrigen an: Merteuil trägt Valmont auf, er solle ihre jungfräuliche Nichte Volanges verführen, ihn aber interessiert die Entehrung der gottesfürchtigen Gattin Madame de Tourvel mehr. Im Verlauf des Stückes übernehmen die beiden alle Rollen eines Theaters auf dem Theater: Valmont spielt sich selbst und die Rolle der Tourvel, Merteuil spielt Valmont und die Nichte Volanges. Einem tödlichen Begehren nach der Überwindung der Getrenntheit als diskontinuierliche soziale Wesen entspringen sexuelle und moralische Grenzüberschreitungen. Ihr obszönes Spiel befragt Geschlechteridentitäten und die Binarität der tradierten Geschlechterordnung, aus der sie sich nicht zu befreien vermögen.
Der serbische Regisseur Miloš Lolić arbeitet nach seiner vielbeachteten Inszenierung von Elfriede Jelineks »Am Königsweg« mit »Quartett« zum zweiten Mal am Schauspiel Frankfurt.
PRESSESTIMMEN
»[…] ist es gleichwohl ein Vergnügen, dem Ausstattungstheater und kunstvollen Spiel der vier zuzuschauen. Grunert, Kubin, Graf und Reiß lassen selten voneinander. Sie sprechen im Chor, zu dritt, zu zweit, alleine und sie wispern, und Grunert braucht keine technische Unterstützung, um ihre Stimme auf schneller und noch schneller zu stellen. Sie spielen, sie wären bloß Automaten, und ihre Köpfe bewegen sie gerne ruckartig nach Art von Hühnern. Sie verflechten sich ineinander und docken an, krallen sich fest, weichen vergeblich zurück. Sie bilden gutaussehende Tableaus, nehmen pseudoakrobatische Stellungen ein und wiederholen sie, alles in gemäßigtem Tempo. Sex und Gewalt, Unterwerfung und Lust, hier in äußerst sublimierter Form auftretend, werden zu Routine.«
Frankfurter Rundschau, 27. Januar 2020
»Jeder des Quartetts schlüpft in eine der verfügbaren Rollen, Volange, Tourvel, Merteuil und Valmont – sie sind keine Identitäten, sondern Spielanleitungen. Diese Entindividualisierung aber bringt tatsächlich den Text zum Schillern. Das aus Sarah Grunert, Anna Kubin, Stefan Graf und Sebastian Reiss geformte Quartett setzt sich zu einem Tableau zusammen, vollzieht eine atemlose Choreographie aus Posen, stummen Schreien, mit im Entsetzen oder im Staunen geöffneten Mündern, mit plötzlichem Innehalten. Das oft chorische (und oft perfekte) Sprechen wird in rastlose Bewegung überführt. Wie Bilder eines Filmstreifens, der manchmal angehalten wird, ist das inszeniert, Immer schneller, immer nachlässiger – immer sinnentleerter – ausgeführt. Dabei entstehen ganz starke Bilder, an die man sich erinnern wird.«
Strandgut, März 2020
»Die Akteure drehen und wenden sich immer wieder in Posen, erstarren, bilden eine Art Arrangement wie auf einem altmeisterlichen Gemälde und arrangieren sich dann wieder neu. So reduziert er [Miloš Lolić] das Geschehen auf das, was gesagt, gesprochen wird. Was eine intensive, verblüffende Wirkung hat.«
Main-Echo, 6. Februar 2020
» […] die vier denken und sprechen messerscharf, finden die passende Distanz und Unberührbarkeit.«
Frankfurter Neue Presse, 27. Januar 2020
Foto: Robert Schittko