Solastalgia

Foto: Robert Schittko
von Thomas Köck
Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt
Koproduktion mit dem Kunstfest Weimar
Kammerspiele
Uraufführung 07. September 2022 (Weimar), 23. September 2022 (Kammerspiele)
ca. 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
INHALT
2005 erfand der australische Naturphilosoph Glenn Albrecht den Begriff »Solastalgie«. Er setzt sich zusammen aus dem lateinischen Begriff für Trost (solacium) und der griechischen Wurzel (algia), die für Krankheit und Leiden steht. Anders als bei der Nostalgie, die sich auf räumlich und zeitlich entfernte Dimensionen bezieht, bezeichnet Solastalgie den Schmerz, den man im Augenblick der Erkenntnis erlebt, dass der Raum, den man bewohnt, der Ort, den man liebt, angegriffen wird. Er bezeichnet den stillen Schmerz und die Unmöglichkeit der Trauer.
Denn wo trauern wir eigentlich über diese Welt, die jetzt gerade vor unseren Augen verschwindet? Was macht dieses Wissen um dieses Verschwinden mit uns, die wir die Gletscherschmelze beobachten, die Übersäuerung der Meere, das Verstummen der Himmel und der Wälder durch das Fehlen der Vogel- und Insektenschwärme, was bedeutet diese akustische Veränderung um uns herum und wo wird diese Welt eigentlich begraben? Wo ist ihr Totem, ihr Ort der Trauer? Was, wenn es einen Ort gäbe, wo wir diese Welt beerdigen könnten? Und was, wenn der Ort, an dem wir trauern, genau der Ort ist, um den wir trauern?
Der Autor und Regisseur Thomas Köck geht zusammen mit dem Team auf Spurensuche nach angegriffenen Orten.
PRESSESTIMMEN
»"Solastalgia" ist ein roher Text, und das macht ihn großartig. Köck verflechtet, das macht er öfter, zwei Stränge ineinander, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben, die sich aber doch befruchten, gegenseitig kommentieren, ergänzen, den jeweils anderen in neue Farben tauchen. […] Der Abend ist dicht, konzentriert und düster, voller hinterlistiger Gedanken, voller Erkenntnisse und toll erfundener Worte. Er ist wütend, aber nie larmoyant, auch wenn ihm etwas von einem Requiem auf unsere Welt anhaftet. Viel Hoffnung vermittelt er nicht. Auch wenn gerade die drei Schauspielerinnen gar nicht unfreundlich, eher licht und hell agieren. Wir haben alles selbst vernichtet, "weil wir weil die weil sie weil ich weil Geld". Weil Kapitalismus, Gier und Profit.«
Süddeutsche Zeitung, 8. September 2022
»Thomas Köck, nun in der Rolle des Regisseurs, musste dieses Sprachungetüm in sinnliches, möglichst opulentes Theater verwandeln – aus der Schreibebene in die Sphäre des spielerischen Agierens plus die Unmittelbarkeit des Augenblicks transformieren. Das gelingt ihm und seinen drei Schauspielerinnen Katharina Linder, Miriam Schiweck und Mateja Meded mit atmosphärischer Klang-Unterstützung der drei Musikerinnen Laia Hard Catalan, Maria Laura Oliveira und Patricia Pinheiro erstaunlich beeindruckend. Immer Tempo, immer Action. Die Schauspielerinnen lassen mit Körpereinsatz und Stimme eine Geschichte entstehen, die das Publikum in ihren Bann zieht.«
nachtkritik.de, 8. September 2022
»Regelmäßig werden an Theatern ganze Welten gebaut. Für die Bühnenbilder werden große Teile aus Holz und Aluminium verschraubt oder verklebt, mit Acrylfarben riesige Bilder gemalt und aus Styropor unterschiedliche Formen geschnitzt. Dabei gerät Nachhaltigkeit oft in den Hintergrund. Für Barbara Ehnes, Professorin für Bühnenbild an der Hochschule für bildende Kunst Dresden, sind nachhaltige Produktionsformen eine wichtige Herausforderung für die Zukunft. Wie ein nachhaltiges Bühnenbild aussehen kann, zeigt die Uraufführung von "Solastalgia" beim Kunstfest Weimar.«
MDR-Kultur, 10. September 2022
»Wenn man das Programmheft liest, erkennt man, dass Barbara Ehnes, die erfahrene Bühnenbildnerin, einen neuen Werkstoff erfunden hat oder erstmals eingesetzt hat, eine Art Pilzgeflecht, aus dem diese Platten bestehen und es ist, so heißt es jedenfalls, ein sehr nachhaltiger und sehr umweltschonender Stoff, mit dem man bislang in Bühnenbildern noch nicht gearbeitet hat. […]
Die umfangreiche Erklärung für den Begriff, um den das Stück entstanden ist, ist sehr, sehr eindrucksvoll, aber das was Thomas Köck erzählt, ist viel einfacher – er erzählt tatsächlich vom Wald, vom Verschwinden des Waldes und parallel dazu vom Verschwinden eines Menschen, eines Mannes. […]
Es gibt einen Satz in dem Stück, der sehr signifikant ist: Wir werden vielleicht noch es schaffen, die Natur noch zu retten, aber die Natur selbst wird uns Menschheit nie retten. […]
Ein Abgesang auf die Option Menschheit, die sich tatsächlich noch aus dem Gewirr, in das sie sich selbst hineinmanövriert hat, hinausbewegen könnte – Und da ist Thomas Köck ein finsterer Pessimist, sein Stück ist ein Wutanfall über die Unfähigkeit der Menschheit, wie sie ist mit dem Lebensraum, den sie hat, noch umzugehen, das ist auch nicht neu, aber der Zorn, mit dem er da rangeht, der tatsächlich eben aus der Biographie des Sohnes eines Waldbauern geboren ist, dieser Zorn ist schon sehr beachtlich und ist ein wirklich in tiefe Depression, wenn man alle Texte wirklich versteht und für sich selber umsetzt. […]
Die drei Schauspielerinnen sind sehr mitreißend, sehr konzentriert, sehr engagiert, werden unterstützt durch drei Musikerinnen, die das manchmal kommentieren, manchmal unterbrechen, begleiten. […] Das ist wirklich gut komponiert und hilft den drei Darstellerinnen, die tatsächlich an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit agieren, wirklich sehr.«
DLF-Kultur Fazit, 09. September 2022
»Ein fulminanter, gallig pointierter, funkelnder Text von wortpraller Prägnanz und Intensität. Ein sprachliches Wunderwerk, doch verliert sich nichts im Akrobatischen, auch nicht die geschliffene, in ihrer Art leichtfüßige, sich indes unbotmäßiger Gefälligkeiten enthaltende Ensembleinszenierung. Die rhythmisierte Sprach findet ein Pendant in der Musik von Andreas Spechtl, dem Kopf der großartigen […] Diskurspopband Ja, Panik.«
Frankfurter Neue Presse, 26. September 2022
»Der Dramatiker Köck inszeniert selbst, mit einer Sorgfalt, die bis zu dem von einem Pilzmyzel hergestellten Bühnenbild und den sprechenden Kostümen aus Plastikmüll und Neopren den Mythos eines deutschen Waldes, Turbokapitalismus und das buchstäbliche Burnout eines Vaters, scheinbar Disparates, ebenso desolat wie schlüssig zusammenbringt, als ununterbrochenes „weil“. Katharina Linder, Mateja Meded und Miriam Schiweck sprechen im Chor grandios präzise, spielen wundervoll in ständigen Stimmungswechseln von trockenem Witz bis Abgrund.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. September 2022
»Katharina Linder, Mateja Meded und Miriam Schiweck sprechen im Chor, monologisieren, werfen sich die Worte und Sätze zu. Das geschieht in einem hohen Tempo, intensiv, scharf und total durchrhythmisiert, der stramm organisierten Welt entsprechend, von der der Text berichtet. Wehe der, die die da nicht mithält, aber den Schauspielerinnen gelingt es mit Bravour, und wenn sie nicht doch einmal stolpern würden, müssten sie Roboter sein.«
Frankfurter Rundschau, 26. September 2022
»Zum Jauchzen schön: ein allein mit lateinischen Pflanzennamen bestrittenes Sprech- und Singduett von Lindner und Meded. Eine Weltneuheit, die mit lebenden Pilzlandschaften im Stil eines Hörsaals gefertigte Öko-Bühne. Ganz unbedingt und very very empfohlen, weil, weil, weil - ach, –lasst es euch sagen und zeigen.«
Strandgut, Oktober 2022
Foto: Robert Schittko
AUDIO-EINFÜHRUNG