X-Räume

Denkraum mit Can Dündar

Schweigen macht Gold_Wie verteidigen wir unsere Redefreiheit
Chagallsaal
27. März 2018
INHALT
Anscheinend sind die Werte der westlichen Demokratien in Erosion begriffen. Rechtsstaatlichkeit, Laizismus, Freiheit der Presse, was bislang als unverzichtbare Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung galt, wird sukzessiv ausgehebelt, in Ungarn, Polen, den USA und der Türkei. Unter Erdogan sind diese Veränderungen deutlich sichtbar und manifestieren sich unter anderem in der Verfolgung unliebsamer Journalisten. Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der linksliberalen Cumhuriyet, konnte sich dieser Verfolgung nur durch die Flucht ins Exil nach Deutschland entziehen. Seither arbeitet er politisch und journalistisch von Berlin aus. Jetzt spricht er am Schauspiel Frankfurt zu dem Thema: »Schweigen macht Gold Wie verteidigen wir unsere Redefreiheit?«. In der Reihe »Denkraum« folgt auf einen Impulsvortrag eine in jeweils kleinen Teilnehmerrunden geführte Diskussion mit anschließender Auswertung der Ergebnisse durch den Referenten. Impulsvortrag in englischer Sprache.

Gefördert vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels

Can Dündar

Studierte Journalismus in Ankara und London und promovierte 1996 in Politikwissenschaften. Dündar schrieb für diverse Zeitungen, publizierte über zwei Dutzend Bücher und produzierte zahlreiche Fernseh- dokumentationen. Er war bis vor kurzem Chefredakteur der renommierten Tageszeitung »Cumhuriyet«. Im November 2015 wurde Dündar verhaftet. Staatspräsident Erdogan persönlich stellte Strafanzeige und fordert lebenslange Haft. Hintergrund ist Dündars Bericht- erstattung über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an syrische Extremisten. Noch im gleichen Jahr erhielt er den Menschenrechtspreis der Organisation »Reporter ohne Grenzen«, sowie zahlreiche Preise für Pressefreiheit. Dündar lebt und arbeitet zurzeit in Berlin.

Hintergrund

In unserem Zusammenleben pochen wir auf unsere freiheitliche Gesellschaft, die auf unserer Verfassung beruht. Deren Grundsteine wurden 1848 in der Paulskirche in Frankfurt gelegt. Das, was den Boden unseres gemeinsamen Zusammenlebens stiftet, verbunden mit einer Form der politischen Correctness, die wir uns durch die leidvollen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erarbeitet haben, droht sich mehr und mehr zugunsten eines Populismus aufzulösen. Das hohe Gut der Freiheit, das unsere Verfassung garantieren möchte, empfinden plötzlich viele als zu frei, wenn es darum geht, dass verschiedene nationale Herkünfte, Religionen, sexuelle Ausrichtungen, kulturelle Lebensformen uns spalten: In die Reichen und Armen, in die Gläubigen und Ungläubigen, in die Wutbürger und Gutmenschen, in die sogenannten Deutschen und die vermeintlich Fremden, in die sexuell freizügig anmutenden und die verschleierten Frauen ... Die Reihe dieser Spaltungen ließe sich fortsetzen. Wir alle berufen uns auf das gleiche Rechtund wollen mit diesem Recht unsere doch ganz unterschiedlichen Werte behaupten.

Das, was Demokratie einmal war, die Vielheit in der Einheit, scheinen wir dabei zu vergessen. Plötzlich besteht unsere Gesellschaft aus lauter Zuschreibungen zwischen WIR und IHR. Wir, das sind die Einen – Ihr, das sind die Anderen. Dabei ist die Kultur des gemeinsamen Debattierens verloren gegangen. Wenn nicht mehr wirklich analysiert wird, in welcher Gegenwart wir uns befinden, woher plötzlich Gewalt und Wut in unserer Gesellschaft herrühren, wenn wir nicht wirklich die Ursprünge der bestehenden Unzufriedenheit genauer erforschen, dann wird aus der Beurteilung und Bewertung des anderen rasch ein Aburteilen. Wohin Slogans statt Debatten, Vorurteile statt Vertrauen führen, das lehrt uns die eigene Vergangenheit. Daher sind wir alle gefragt, für die politische Kultur unseres Landes Verantwortung zu tragen