Onkel Wanja

Foto: Thomas Aurin
von Anton Tschechow
Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva
Schauspielhaus
Premiere 22. September 2022
ca. 2 Stunden, keine Pause
TEAM
Regie: Jan Bosse
Kostüme: Kathrin Plath
Dramaturgie: Gabriella Bußacker
Licht: Marcel Heyde, Jan Walther
BESETZUNG
Peter Schröder (Alexander Wladimirowitsch Serebrjakow, Professor im Ruhestand)
Melanie Straub (Elena Andrejewna, seine junge Frau)
Lotte Schubert (Sofja Alexandrowna (Sonja), seine Tochter aus erster Ehe)
Christina Geiße (Maria Wassiljewna Wojnizkaja, Mutter der ersten Frau des Professors)
Heiko Raulin (Iwan (Wanja) Petrowitsch Wojnizkij, ihr Sohn)
Wolfram Koch (Michail Lwowitsch Astrow, Arzt)
Torsten Flassig (Ilja Iljitsch Telegin, ehemaliger Gutsbesitzer)
Carolina Bigge, Ralf Göbel (Live-Musik)
INHALT
Sonja bewirtschaftet das Gut ihrer verstorbenen Mutter gemeinsam mit deren Bruder Wanja, also ihrem Onkel, der das Anwesen verwaltet und bei dem sie aufgewachsen ist. Mit ihrer Arbeit unterstützen sie das Leben ihres Vaters, der als berühmter Professor der Kunstwissenschaften in der Stadt lebt und den sein Schwager Wanja verehrt. Sonja wiederum bewundert den mit ihm befreundeten Arzt und Umweltschützer Astrow, der gegen die Ignoranz und Dummheit der Menschheit vor allem verzweifelt Wodka einsetzt. Als der Professor mit seiner neuen jungen Frau Elena zu Besuch aufs Land kommt, gerät das Leben, in dem sie sich eingerichtet haben, gründlich durcheinander. Gefrühstückt wird erst gegen Mittag, die Nacht wird zum Tag und der Alkohol fließt. Um das Chaos perfekt zu machen, verliebt sich Wanja in Elena, die sich wiederum aber vor allem für Astrow interessiert. Die Stimmung wird explosiver, und in einer dieser Nächte lässt der Professor die Bombe platzen: Er braucht mehr Geld für sein Leben in der Stadt und will das Gut verkaufen, deren rechtmäßige Erbin eigentlich Sonja ist. Die Lebenslügen liegen plötzlich blank, alle Stützen der fragilen Konstruktion brechen zusammen. Wofür hat man sich die letzten Jahre aufgeopfert? Gibt es einen Aufbruch in eine neue, sinnvolle Zukunft?
Jan Bosse gilt als Regisseur, dem es immer wieder gelingt, klassische Stoffe mit großer Lebendigkeit, Humor und Spielfreude zu füllen und durch genaue Lesart der Texte heutige Perspektiven freizulegen. Die Figuren Tschechows sieht er als vom Leben Getriebene, die sich in Sackgassen verirren, aus denen sie voller Panik nach Auswegen suchen. Zitat Bosse: »Wer will schon gerne unglücklich sein?«
PRESSESTIMMEN
»Tschechows Traurigkeit ist keine Tristesse, sie hält auch glückliche Momente parat und das war auch zu sehen. […] Eine sehr gute Inszenierung in der Regie von Jan Bosse und man hat dort nicht nur Tschechow verstanden, sondern auch diese typische Atmosphäre kongenial auf die Bühne gebracht. Es war auch eine sehr gute Ensembleleistung, […] Es war eine sehr ruhige Inszenierung, die ein gutes Tempo hatte – eine zwei Stunden Dauer, aber nie Längen und das Schlussbild war der Höhepunkt, das war absolut großartig. Also ein rundum überzeugender „Onkel Wanja“.«
hr2 Frühkritik, 23. September 2022
»Die Figur des Wanja wird von Heiko Raulin mit Hosenträgern und schwitzigen Haarsträhnen als treuer Arbeiter verkörpert. Sein Selbstwertgefühl scheint ihn rebellisch zu machen. Den Gelehrten, der als Witwer von Wanjas verstorbener Schwester und Vater von dessen Nichte Sonja zur Familie gehört, gibt Peter Schröder als solariumsgebräunten Seniordressman, der ständig neue Anzüge in giftig fluoreszierenden Farben trägt. Mit einer Rekordfrequenz hypermodischer Outfits macht die Kostümbildnerin Kathrin Plath seine zweite Gattin Elena, der Melanie Straub blasierte Statuenhaftigkeit verleiht, zum zweibeinigen Kunstwerk. Wie die schöne Helena, als die sie Wanja auch anspricht, sich die armen Helden hörig macht, ist von skurriler Komik. Die vielleicht stärkste Schauspielerin des zwei Stunden langen Abends ist Lotte Schubert als Halbwaise Sonja, eine schlichte Arbeitsbiene wie ihr Onkel, die glühend und chancenlos in den Arzt verliebt ist und dabei von ihm gar nicht wahrgenommen wird. Wie Schubert, die mit Lockenperücke und Blumenkleidchen als linkische Provinznelke auftritt, ihren Angebeteten bewirten will, mit stummer Lippenbewegung seine Worte antizipiert, um dann wieder bekümmert vor sich hin zu brüten, ist ein rührender Ausdruck naiver Totalhingabe.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. September 2022
»In Jan Bosses recht unangestrengter Leseart und Stéphane Laimés Bühnenbild wird das wieder besonders deutlich, das verfluchte Nichtstun und das Gejammer darüber, während sich die Welt gleichmütig weiterdreht, jedenfalls meistens. […] Bosse und das Ensemble zeigen und spielen das, wie heute Theater gezeigt und gespielt wird, auf Draht, elastisch, diesmal aber nicht manieriert, sondern entspannt und wie mit einer Spur von Abstand. Vielleicht liegt es immer noch an der langen Coronapause, dass man die Figuren sieht, aber zugleich auch immer die Schauspieler und Schauspielerinnen, wie sie das spielen. Es gefällt einem, wie sie das tun in ihrem eigenartigen Beruf.«
Frankfurter Rundschau, 24. September 2022
»Für die Inszenierung von „Onkel Wanja“ im Frankfurter Schauspiel hat Stéphane Laimé ein aussagekräftiges Bühnenbild entworfen. Ein Kubus, der sich um sich selbst dreht, weniger ein Gebäude als eine Baustelle mit Plastikfolien statt Türen, und stützenden Streben, die widerspiegelt, dass die Mitglieder der Gesellschaft, die hier wohnt, alle ihre Schwierigkeiten haben und keine in sich ruhenden, zufriedenen Wesen sind.«
Frankfurter Neue Presse, 24. September 2022
»Obendrein ist Wolfram Koch natürlich immer Wolfram Koch – und angemessen schlüssig ist dessen lustvoll-raumgreifendes Spiel auch mit Blick auf die Geschichte des Tschechow-Textes selbst: der ja in einer früheren Fassung „Der Waldschrat“ übertitelt war und die Figur, diesen Arzt, zum Titelhelden hatte.«
nachtkritik.de, 23. September 2022
Schauspielerisch bietet das auf zwei Stunden gestraffte Spiel schön schräge Seelenstudien. Dazu setzt die Regie dem allzeit verhaltenen Tschechow grelle Akzente auf. Carolina Bigge und Ralf Göbel machen die Melancholie mit Gitarre und Akkordeon musikalisch munter.
Darmstädter Echo, 27. September 2022
»Heiter die Stimmung, immer düsterer aber das Licht, folgt das Spiel der gestrafften Textvorlage. Und deshalb holt sie uns doch noch ein, die verzweifelte Sinnsuche und Ohnmacht der dem Leben ausgelieferten Tschechow´schen Menschen. […] Ein schöner Theaterabend und ein vielversprechender Saisonbeginn.«
Strandgut, Oktober 2022
»Es ist ein lohnender Theaterabend, der trotz des schweren Stoffes nicht belastet. Keine Minute ist verschwendet. […]«
Main-Echo, 17. Januar 2023
Foto: Thomas Aurin
AUDIO-EINFÜHRUNG