Ein Volksfeind

Foto: Thomas Aurin
von Henrik Ibsen
Schauspielhaus
Premiere 25. September 2022
ca. 2 Stunden, keine Pause
TEAM
Regie: Lily Sykes
Kostüme: Jelena Miletić
Mitarbeit Kostüm: Ivana Kličković
BESETZUNG
Isaak Dentler (Doktor Thomas Stockmann, Badearzt)
Tanja Merlin Graf (Marie, seine Tochter, Lehrerin)
Thomas Mehltretter / Stefan Olteanu (Eilif, sein Sohn, 10 Jahre alt)
Caroline Dietrich (Petra Stockmann, die ältere Schwester des Doktors, Bürgermeisterin und Polizeichefin Vorsitzende im Aufsichtsrat des Bades, usw.)
Uwe Zerwer (Morten Kiil, Gerbermeister, Pflegevater von Maries verstorbener Mutter)
Oscar Olivo (Hovstadt, Redakteur des »Volksboten«)
Sebastian Reiß (Billing)
André Meyer (Kapitän Horster)
Stefan Graf (Buchdrucker Aslaksen)
INHALT
Was gut für die Wirtschaft ist, das ist auch gut für alle. Und »die Wirtschaft«, das ist in diesem kleinen Küstenort das neue Kurbad. Lokalzeitung, Hausbesitzer, Kurverwaltung und Aktionäre der Badeanstalt: Alle hoffen auf den Geldsegen, den die Wellness-Tourist:innen bald schon bringen werden. Doch dann häufen sich rätselhafte Krankheitsfälle im Ort. Der Kurarzt Thomas Stockmann findet heraus, dass das Wasser des Bades durch Industrieschlamm vergiftet wird. Jetzt hat er die Wahl: Ruiniert er seine Heimatstadt und macht den Skandal publik? Oder lässt er zu, dass sich alle vergiften? In Ibsens wohl politischstem Drama dient das Gift als Metapher für eine auf Lügen, Korruption und Gier gegründete Gesellschaft. Die »Wahrheit« ist hier immer perspektivisch, sie ist das Ergebnis eines Kampfes um Macht und Deutungshoheit. Lily Sykes betont in ihrer Inszenierung die Ambivalenz der unterschiedlichen Positionen und die absurde Komik eines Kampfes im Angesicht des Untergangs.
PRESSESTIMMEN
»[Lily Sykes] bringt dieses Stück nicht als illusionistisches Theater auf die Bühne, sie erzählt nicht die Geschichte eins zu eins, sondern sie macht es performativ und zwar so, wie es ihre Generation eigentlich am liebsten mag – sie zieht überall Metaebenen ein und stellt den Text regelrecht aus. Personen werden wirklich als Figuren ausgestellt, total plakativ als Typen gezeichnet. […] Es ist lustig, es ist unterhaltsam und es zeigt, dass auch das moralischste Stück und die heersten Standards und die größten „red flegs“, die man haben kann, dass die immer wieder von den eigene Interessen unterwandert werden und, dass das allzu menschlich ist. Es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern es gibt die vielen Wahrheiten, und dafür ist dieses Stück tatsächlich ein Plädoyer.«
DLF-Kultur Fazit, 25. September 2022
»Lily Sykes inszeniert das Stück um Skandal, Vertuschung und Radikalisierung als Komödie der Heuchler und Fanatiker. So schrill das daherkommt, so erstaunlich stimmig wirkt es doch. «
Darmstädter Echo, 28. September 2022
»Das Stück ist jetzt 140 Jahre alt. Aber in der Inszenierung von Lily Sykes, 1984 in London geboren, wirkt es frisch und zeitgenössisch. Ohne ihm Gewalt anzutun, trifft die Aufführung ins Herz der Gegenwart, die sie grell ausleuchtet. Das gelingt auch deshalb, weil Ibsens Analyse der bürgerlichen Gesellschaft alle pathogenen Keime ihres beginnenden Zerfalls schon bloßlegt, alle Tendenzen, die sich bis heute fortgesetzt und noch forciert haben, mit chirurgischem Blick herausseziert. […] Der Zuschauer blickt hinein in die ganze Mechanik aus Gier, Täuschung, Intrige, Aufstiegswille, Charakterlosigkeit, Berechnung, Eitelkeit, Eigensucht, Lobbyismus und Erfolgsfixierung. Die Frankfurter Produktion inszeniert dabei die mediale Vermittlung und Skandalisierung des Skandals gleich mit. […] Das Ensemble bereitet einen ebenso unterhaltsamen wie gewinnbringenden Abend. Große Freude hat man an den Stockmann-Geschwistern Isaak Dentler, der seine Figur lebendig, echt und facettenreich gestaltet, und Caroline Dietrich, die eine zynische, sexuell übergriffige Karrieristin gibt. Auch wenn der – hier nicht verratene – finale Twist nicht recht überzeugt, selten seit Jürgen Habermas hat man den jüngsten Strukturwandel der Öffentlichkeit so plastisch und erhellend vor Augen geführt bekommen. Aufrichtiger Beifall!«
Frankfurter Neue Presse, 27. September 2022
»Ibsen verspricht in der Regel schwere Kost. Theaterabende, die tief in die menschlichen Abgründe hineinleuchten. Die schonungslos die Menschen in ihrer Unzulänglichkeit darstellen. »Ein Volksfeind« in der Version von Lily Sykes für das Frankfurter Schauspiel aber ist das alles wie eine verzerrte Komödie, ein Lustspiel mit bitteren Untertönen, das ungewohnt leicht daherkommt.«

Main Echo, 25. Oktober 2022
»Lily Sykes zeigt die fünf Akte in kompakten, pausenlosen 120 Minuten als Komödie, Drama, TV-Show und politisches Happening. Die Spielfläche ragt dabei weit in den Zuschauerraum hinein. […] Anfangs mehr humoristische Aspekte betonend, dringt Lily Sykes mit kluger Hand von Szene zu Szene geschickt zum Kern vor. […] Sebastian Reiß ist ein telegener Redaktionsmitarbeiter Billing, der auch bereit ist, mit Schnorchelbrille den Ursachen auf den Grund zu gehen. Einen umtriebigen Redakteur Hovstadt gibt Oscar Olivo. Viel körperlichen Einsatz legt Stefan Graf als markanter Buchdrucker Aslaksen vor. Gute Laune und Sorglosigkeit versprüht die Marie der Tanja Merlin Graf. André Meyer gibt einen gefestigten Kapitän Horster und Uwe Zerwer einen alle Schuld von sich abweisenden Gerbermeister Morten Kiil.«
Kulturfreak.de, 3. Oktober 2022
Foto: Thomas Aurin
AUDIO-EINFÜHRUNG